Peter Wiegand // Riverboat
von Thomas Kraus

Für Peter Wiegand ist alles im Fluss. Und damit ist er nicht allein. Der Sänger mit der bei allen Vergleichen mit Tom Waits oder Jacques Brel doch vor allem unverwechselbaren Stimme, der Schauspieler mit dem nicht glattgebügelten Gesicht hat sich ein Hausboot ersonnen, ein Riverboat. Und hat eine Menge musikalisch hoch potenter Freunde darauf eingeladen. Um eine neue Musik zu machen, die sich mit allen Wassern gewaschen hat, die sämtliche Untiefen auslotet, die sich wild herumtreibt in den Wasserstraßen des Lebens und der Stile. Wobei das natürlich abseits des Hauptstroms, des Mainstreams immer am interessantesten ist. Nick McCarthy, der Gitarrist und Songschreiber von Franz Ferdinand ist mit von der Partie. Der Batman-Autor Alan Grant aus dem schottischen Süden. Alexander Gasteiger, Georg Kager, Hannes Hajdukiewicz, C.L. Mayer, Jonathan Heine, Harald Lange, Klaus Kammerloher, Davide de Bernardi, Andreas Kohlmann, Lou Noah, Karen Weber, Claudia Gubisch, Ingo Steer. Alle Wörter, alle Texte zu den ausnahmslos neuen Songs stammen diesmal von Wiegand selbst. Die größtenteils aus vertrauten, langjährigen musikalischen Weggefährten bestehende Crew des Hausboots vertonte, spielte ein. Fast jedes Stück hat so einen eigenen Komponisten. Die Musik ist auf Wiegand maßgeschneidert, jeweils kongenial geraten und dabei stilistisch so vielschichtig wie die durch die stark autobiographisch geprägte Lyrik vorgegebene Reiseroute des Flußschiffes.
New Orleans, Manhattan, Wien und Berlin sind nächtlich schemenhaft zu erkennen, klare Stromschnellen, schlieriges Brackwasser und Sümpfe, die Spiegelung des eigenen Ich und der Gesellschaft drumherum, Schiffbruch und Aufbruch, Vergnügungsfahrt und Flucht, Blues und Wienerlied, Stomp und Circumstance, Waits und Brecht/Weill, Spelunkentango und ChaChaCha, George Benson, Helmut Qualtinger und Jim Morrison, Marching Bands, der funky Swing des 21. Jahrhunderts unter Trauerweiden. Überhaupt: Peter Wiegand war noch nie so entspannt beswingt, bei allem Tiefgang, wie er es hier ist. Das Wasser unter seinem Kiel funkelt.

Vorhang auf, das Akkordeon übernimmt die Ouvertüre: "Ich wollte immer schon was Großes aus meinem Leben machen / ich wusste nur nie was" ist die grandiose, opulente Show des Scheiterns, großes Theater. Die Combo gibt hier mit allem Überschwang zunächst die saftig aufspielende New-Orleans-Band, wartet dann mit einigen höchst ingeniösen Überraschungen auf.
Eigentlich: eigentlich ist alles nicht so schlimm, denn "mit dir kann ich reden" singt Peter Wiegand in diesem Song. "Eigentlich / kennt keiner Dich" ist zwar eine bedrückende Erkenntnis. Über einer à la George Benson so locker groovenden, dahinsegelnden Jazzgitarre ausgesprochen verliert sich die düsterste Einsicht und Selbsterkenntnis. Alles nicht so schlimm, auch wenn einem der Brei bis zum Hals steht.
Vergleiche hinken - aber in East Side kommt Wiegand so laid back, so entspannt daher, wie man`s ansonsten nur von einem J.J. Cale kennt. Die countryeske Musik hierfür stammt von Nick McCarthy. Manchmal genügt es einfach, ein Bett gefunden zu haben, und einen transatlantischen Anruf zu bekommen.
"Er hat das Pendel / sie hat die Schnur / er hat den Traum / sie hat die Uhr". Was anfangs noch nach Waits klingt, wird alsbald purer Wiegand. Die sprachlichen Bilder sitzen und sind von archaischer Eindringlichkeit. Like It Is.
"Termin, Termin, Termin" und Nie Frei. Vielleicht würden die Doors heute so klingen, würde Jim Morrison noch leben und sich textlich Alltagsphänomenen wie dem Stress unserer Zeit so widmen, wie es Peter Wiegand hier mit mächtig dahinschnellenden Silben tut. Die Orgel glüht, der Bass rast aufwärts, die "Kurven bringen Spannung".
Wiegand singt in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Wienerisch. In jeder findet er treffende Bilder, glühende Metaphern, überraschende Wendungen. Dass die Texte ohne weiteres auch für sich stehen könnten spricht für sich, für die Klasse, die Wiegand inzwischen als Textautor hat. Was ihn dabei weiter auszeichnet: alles ist echt, erlebt, nichts ist Retorte. Er hat viel erlebt und daher viel zu erzählen. Und verfügt dann auch noch über diesen mal melancholisch sanftmütigen, dann wieder rauh und kraftvoll aufbegehrenden Bassbariton, diese Stimme, für die das Etikett "ausdrucksstark" die blanke Untertreibung ist.
Tasten-, Saiten- und Schlaginstrumente, elektrifizierte Gitarren, Slide-Guitar, Piano, Orgel, Akkordeon, Bass, Schlagzeug und gelegentlich Trompete und Streicher prägen die Instrumentierung von Wiegands neuen Songs in den Arrangements. Prägend für den Ausdruck dieses Gesamtwerks sind Alexander Gasteiger und Phil Freeborn, ebenso fanden die Aufnahmen für die "Riverboat"-CD fanden in den Studios von Phil Freeborn
in Berlin statt. Selbiger lebt übrigens in einem real existierenden Hausboot auf der Spree.
Zuletzt, also vor seinem Einzug in sein imaginäres Riverboat war Peter Wiegand als Schauspieler in Sinica Galics 17-minütigem Kurzfilm "Schranken des Lebens" zu sehen, der in Landshut einen Filmpreis abräumte und auf Einladung von Emir Kusturica auf dessen Filmfestival gezeigt wurde. Aktuell ist er beteiligt an einer Filmdoku über den "Paradiesexpress" zwischen Belgrad und Sarajevo. Das bayerische Fernsehen widmete ihm unter dem Titel "Über Stock und Stein" in der Reihe "Lebenslinie" ein ausführliches Porträt. "Ich bin auch nicht von heute auf morgen Songschreiber geworden", sagt Peter Wiegand über sich selbst, und fügt an: "Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen, Glück sind Motor meines Daseins." Wiegand ist als Sänger, Songschreiber, Schauspieler ein Spätberufener - und auch damit ein kompletter Antikörper zur aktuellen Popindustrie.

Mit rund dreißig Jahren begann es Peter Wiegand unter den Nägeln zu brennen. Das, was er bis dato erlebt hatte, brauchte ein Ventil, verlangte nach künstlerischer Umsetzung. 1953 war er als Sohn deutsch-österreichischer Eltern in Freiburg zur Welt gekommen, zunächst in Salzburg aufgewachsen. Als Zehnjähriger landete er wegen "Streunerei" und "nicht eindeutiger Zugehörigkeit" im Jugendgefängnis, dann im Schwererziehbarenheim. Als junger Erwachsener trieb er sich in vielen Ländern und noch mehr Gelegenheitsjobs herum, arbeitete als Verkäufer für Eisenwaren, als Archivar in einer Versicherungsanstalt, als Krankenpfleger, Liegenwagenschaffner, Anstreicher, in Schweden, Holland, Frankreich, Griechenland, Israel, Indien. Er lebte im Kibbuz und in Abbruchhäusern - ein Leben wie aus einem Roman von Jack Kerouac oder TC Boyle. Mit seiner späteren Frau war er Teil einer autarken Kommune in Bayern. Kinder kamen. Die Familie zog mit einem Campingbus durch die USA. Zurück in Europa baute Wiegand die erste deutsche Produktion für Tofu auf – ein finanziellles Desaster, auf das die familiäre Katastrophe folgte. Er fand sich auf der Straße wieder, allein. Ging erneut in die USA. Wendete sich endlich dem Theater zu. Sein Schauspiellehrer ermutigte ihn, mit seiner Stimme zu arbeiten. Türen taten sich für Peter Wiegand durch musikalische Projekte auf: die Band "Mahagony", die Begegnung mit der mongolischen Sängerin Nan Chi Lac, die Zusammenarbeit mit Nick McCarthy, der mit seiner Band Franz Ferdinand zu einem echten Rockstar werden sollte. Wiegand entdeckte die Musik von Tom Waits, in der er sich und seine Geschichte wiederfand, wurde zum überzeugenden Interpreten der Musik seines amerikanischen Geistesbruders. Er weiß, wovon er singt. 2004 beschloss er, sein Waits-Image hinter sich zu lassen, eigene Wege zu gehen. Erfolge konnte er mit dem Dramulett "Wien ist nicht Chicago" feiern. Seine eigene Musik sollte nun so kontrastreich und vielschichtig werden wie das Leben. Die nächsten Jahre war er musikalisch mit dem vor allem als Filmmusikkomponist sehr erfolgreichen Gerd Baumann zu Gange und dem musikalischen Netzwerk und Kollektiv Die Konferenz um Leo Gmelch, Wolfgang Roth, Georg Karger, Dim Sclichter und Tobias Weber, die allesamt im Überschreiten stilistischer Grenzen geübt sind. Die CD und das Programm "Catch me if you dream" entstanden.
Jetzt, 2011, ist er auf seinem Riverboat, seinem Hausboot angekommen. Hat eine perfekte Metapher für die Verbindung von Heimat, von Zuhause mit dem Strom, dem Fließen, dem Fluss, der Bewegung gefunden. So sehr er die Mannschaft des Hausboots als Familie sieht, das Ganze als Herzensangelegenheit, ist für ihn doch auch eines von nicht zu unterschätzender Bedeutung: seine Musik "ist immer mehr Peter Wiegand". Sprich: authentisch, er selbst. Weg von allen Vorbildern. Alles ist im Fluss.

RIVERBOAT - die Songs (Promo-CD)
mit Angabe der Verfasser (Text / Musik) nebst kurzen assoziativen Anmerkungen von Peter Wiegand

01 Ich wollte Immer Schon (Peter Wiegand / C.L.Mayer)
Immer und immer wieder so viele tolle Menschen, die tolle Sachen machen, nur ich kann da nicht mithalten.

02 Eigentlich (Peter Wiegand / Harry Lange)
Leicht beschwingt lässt es sich auch durch so manchen Sturm segeln.

03 East Side (Peter Wiegand / Nick Mc Carthy)
Einmal ein Held sein, ab in die Wildnis von Manhattan, einfach so, um zu zeigen, dass man kann, auch ohne Sicherheit.

04 Like It Is (Peter Wiegand / Hannes Hajdukiewicz)
Das Unaufhaltsame aufzuhalten scheitert kläglich. Was bleibt sind Aufräumarbeiten bei mir zu Haus.

05 Nie Frei (Peter Wiegand / Georg Karger)
Zwischen den Stühlen. Von vorgeschriebener Lebenssucht und Sicherheit. Beide können autistisch sein.

CD (keine Tracklist!)

Spark Of Pleasure (Peter Wiegand / Harry Lange)
Nachdem so mancher schier unüberwindbare Anstieg geschafft ist, blickt man zufrieden und stolz ins Tal.

Riverboat (Peter Wiegand / Hannes Hajdukiewicz, Jonathan Heine)
Viele Frohlockungen, Verführungen. Hilfe von Freunden - aufgeben gilt nicht - don`t forget where you are coming from. Das Ziel nicht aus den Augen verloren.

Feines Haus (Peter Wiegand / C.L.Mayer)
Eine schöne, traumhafte Landschaft wie im Bilderbuch, um mich herum, wie`s wirklich ist.

Same Old Saloon (Peter Wiegand / C.L.Mayer)
Krieg + Frieden, Tod + Liebe, von Anfang an bis in die Unendlichkeit verbunden. Wie es immer schon war und bleiben wird.

Running (Peter Wiegand / Harry Lange / Klaus Kammerloher / Peter Wiegand)
Träume, Hoffnung, Enttäuschungen, Glück sind Motor meines Daseins - Kommen + Gehen.

Freeborn Sound Studio, Berlin
mix Alexander Gasteiger
mastering Gürtler Tonstudio